Man sieht sie nicht und hört sie doch
Die Organistinnen der Alten und Neuen Kirche auf Pellworm
Ein Gottesdienst in der Alten oder der Neuen Kirche auf Pellworm ohne Orgelbegleitung – unvorstellbar. Doch wer sind die Organistinnen, die hoch auf der Empore im Rücken der Kirchengemeinde mit ihrem Orgelspiel den Gottesdienst würdevoll begleiten?
Bereits seit 1977 spielt Edda Meesenburg aus dem Süderkoog die Orgel an der Neuen Kirche. Nach dem Tod der damaligen Organistin Frau Jüngling war Kirchenvorsteher Julius Jansen auf sie zugekommen und meinte, dass sie als Organistin an der Neuen Kirche tätig werden sollte. Bereits im Alter von sechs Jahren hatte Edda Meesenburg mit dem Klavierspiel begonnen, Vater und Großmutter hatten sie dazu animiert. Auf dem Klavier spielt sie am liebsten klassische Musik, sie mag Opern, Sonaten und Sonatinen, gerne auch Gesangsbegleitungen, mit einer Orgel hatte sie sich bis zur Anfrage von Julius Jansen nicht beschäftigt. Eine Einführung oder gar Schulung für das Spielen einer Orgel gab es nicht. So spielt sie die Orgel zweihändig, statt des Pedals (dem Teil der Klaviatur der Orgel, der mit den Füßen gespielt wird) wird ihr Orgelspiel von einem zusätzlichen Bassregister unterstützt. Die Orgel der Neuen Kirche hat sie in ihr Herz geschlossen und so war Edda Meesenburg heilfroh, dass die Orgel nach dem verheerenden Brand der Neuen Kirche 1998 unverändert blieb. Heute zeugt nur noch das damalige Liederbuch, mit zahlreichen Wachsspuren der geschmolzenen Kerzen, von der Katastrophe.
Mit dem Spiel auf der Orgel taucht sie in eine andere Welt und ihr gefällt der Klang: Die Orgel an der Alten Kirche lässt sich anders spielen, die Töne kommen dort zu schnell und auch der Klang sei anders. Am liebsten spielt sie die alten Kirchenlieder, die neuen Lieder seien nicht so melodisch. Geübt wird am heimischen Klavier, die jeweiligen Stücke mit der Pastorin abgesprochen. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Kontakt zum „Publikum“ eher eingeschränkt ist, dennoch gibt es immer wieder anerkennende Worte für ihr hervorragendes Orgelspiel und wenn sich jemand bei ihr beklagt, ob sie so schnell spiele, weil sie noch Kartoffeln aufsetzen müsse, kann Edda Meesenburg das mit Humor nehmen. Schwierig waren allerdings die Gottesdienste unter den Bedingungen der Corona-Epidemie. Es durfte nicht gesungen werden und da fühlte sie sich als Organistin doch etwas verloren.
Vertretungen werden nur selten benötigt, nahezu ständig steht sie parat und hofft, noch möglichst lange als Organistin an der Neuen Kirche die Gottesdienste zu bereichern. Und diese Hoffnung teilen alle Pellwormer*innen mit ihr.
Im Gegensatz zu Ihrer Schwester an der Neuen Kirche ist die Orgel der Alten Kirche weit über die Grenzen Deutschlands hinweg berühmt. Jedes Jahr kommen bekannte Organist*innen, um auf dem 1711 von Arp Schnitger gebauten Instrument zu spielen. Dass auch in der Alten Kirche das wertvolle Instrument nicht nur bei Orgelkonzerten gespielt wird, sondern jeden Gottesdienst begleitet, dafür sorgt Dorkas Sibbert. Wie Edda erlernte sie das Klavierspielen bereits früh mit 6 Jahren. Vor gut vier Jahren wurde sie vom Kirchenvorstand gefragt, ob sie die Aufgabe der Organistin an der Alten Kirche übernehmen würde. Auf einer Orgel hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht gespielt und musste quasi ins kalte Wasser springen. Unterricht oder eine Einführung gab es nicht und die Arp-Schnitger-Orgel stellt eine wirkliche Herausforderung dar. Die unterste Oktave der Klaviatur ist anders als beim Klavier belegt, einige Töne fehlen. Das Instrument ist außerdem einen Viertelton höher gestimmt, der heute allgemeingültige Kammerton a1 mit einer Frequenz von 443 Hertz wurde erst 1939 festgelegt. Bis dahin war der Kammerton oft von Region zu Region unterschiedlich und lag zum Teil bis zu 4 Halbtöne tiefer bzw. höher als heute. Deswegen müssen die Musikstücke teilweise transponiert, d.h. in eine andere Tonlage umgeschrieben werden, damit die Lieder für die Gemeinde nicht zu hoch sind.
Das (Fuß-)Pedal umfasst 2 Oktaven und Dorkas erarbeitete sich das Spielen auf dem Pedal in vielen Monaten. Tipps und Anregungen holt sie sich von den in der Alten Kirche musizierenden Künstlern und auch der pensionierte Kirchenmusikdirektor Jens Weigelt aus Husum stand ihr immer wieder hilfreich zur Seite. Das Orgelspiel hat für Dorkas etwas Meditatives, auch wenn am Spielen mit Pedal immer noch gefeilt werden muss. Obwohl sie sich eine eigene kleine Orgel angeschafft hat, übt sie doch lieber in der Kirche, der Klang und die Atmosphäre sind etwas ganz Besonderes für sie. Auch für Dorkas hat das Orgelspiel etwas Meditatives, wobei sie den Klang der Orgel für eine Herausforderung hält.
Auch wenn sie ihr „Publikum“ mit dem Rücken zur Gemeinde sitzend nicht sehen kann, gibt es doch immer wieder anerkennende Wort. Wenn nach dem Gottesdienst der Sohn einer Freundin auf die Frage seiner Mutter, wie Dorkas denn gespielt hätte, antwortet: „Sie hat nicht verkackt“, ist das ein großes Lob. Nicht nur das Spielen auf der Arp-Schnitger-Orgel ist eine Herausforderung, sie selbst liebt es, immer wieder einmal auch neue Stücke einzuüben und im Gottesdienst zu spielen. So freuen sich die Gottesdienstbesucher, wenn neben den bekannten Kirchenliedern auch einmal eine Komposition von Piazzolla oder sogar Procol Harum erklingt.
Die Pellwormer Kirchengemeinde, die Gottesdienstbesucher, Urlaubsgäste und wir alle dürfen sich glücklich schätzen, dass sowohl an der Neuen wie auch Alten Kirche zwei begeisterte und engagierte Organistinnen die Gottesdienste begleiten. Für eine kleine Gemeinde wie Pellworm grenzt das schon fast an ein Wunder, nicht zuletzt, wenn man bedenkt, dass in zahlreichen Kirchengemeinden auf dem Festland statt einer Orgel oft nur noch der Kassettenrekorder oder eine CD erklingt.
Text und Fotos Uwe Kurzke