Zählt der Vogelwart des Verein Jordsand auf Hallig Norderoog die Brandseeschwalben in der Brutkolonie östlich der Vogelwarthütte, so hat er immer das vertraute Bild der Alten Kirche von Pellworm im Hintergrund des Fernrohrs. Für die meisten Pellwormer ist Norderoog dagegen wenig auffällig und nicht so leicht am Horizont zu entdecken. Die Hallig stellt eher eine unbekannte Welt dar, das soll sich ändern! Ich durfte selbst 1981 und 1982 meinen Zivildienst als Vogelwart auf dieser ganz besonderen kleinen Hallig leisten, eine einzigartige Zeit. Seitdem bin ich viel und regelmäßig auf der Hallig und kann dies sogar mit meinem Job an der Uni Hamburg verbinden. Einige Abschlussarbeiten von Biologie-Student:innen über die Seeschwalben und Möwen auf der Hallig konnte ich betreuen. Die letzten Arbeiten thematisierten die zunehmende Überflutungsgefahr von Gelegen und Küken in der Brutzeit.
Am 22. April diesen Jahres hatte die Hallig ganz besonderen Besuch. Silke Backsen hatte Dr. Tobias Goldschmidt vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft , Umwelt Natur und Digitalisierung in Kiel und die Umweltministerin Steffi Lemke auf eine Halligtour eingeladen, um die Probleme durch den Klimawandel für die Halligen und den Inseln zu erläutern. Mit einer Ausnahmegenehmigung vom Verein Jordsand und der Nationalparkverwaltung konnten die Halligen Norderoog und Süderoog von dieser kleinen Delegation besucht werden, De Pellwormer hat schon im letzten Heft berichtet. In der Diskussion um den steigenden Meeresspiegel und die Bedrohung der kleinen Inseln werden auch in unseren Medien bevorzugt die Pazifischen Atolle und Inselstaaten, die Marshall Islands oder Tuvalu genannt. Auch in einem Artikel der letzten Bundeskanzlerin, gar nicht lange her: „Klimawandel bedroht kleine Inseln“ werden zahlreiche Inselstaaten genannt – von unseren kleinen Inseln und Halligen vor der eigenen Haustüre kein Wort. Natürlich ist die Bedrohung dieser Inselstaaten dramatisch, sie haben sich zu einer Allianz (Aosis: www.aosis.org) zusammengeschlossen, aber eigentlich gehören wir genauso dazu. Steffi Lemke war zum ersten Mal im Wattenmeer und konnte sehen, wie klein und bedroht auch unsere winzigen Eilande sind, kein bisschen höher als Tuvalu. Und auf Norderoog waren immerhin schon weit über 1000 Brandseeschwalben in der Kolonie, sie hatten damals noch keine Eier, haben aber fleißig gebalzt und ihre Schutzbedürftigkeit lauthals proklamiert.
Die Menschen auf den Halligen kennen gut die „Heuflut“, bei den Vogelwarten heißt sie die Kükenflut: Eine oder mehrere besonders hohe Tiden Ende Mai oder vor allem im Juni, die zu Landuntern in Vorländereien und Halligen führt. Nicht bedrohlich für die Menschen, aber in manchen Jahren vernichtend für die Gelege und Küken der Küstenvögel. Und es wird viel darüber diskutiert, war das schon immer so oder nimmt das zu, der subjektive Eindruck bestimmt die Diskussion. Eine Analyse der Pegel des LKN Husum hat aber gezeigt, dass das mittlere Hochwasser natürlich auch mit dem Meeresspiegel ansteigt. Aber das vor allem einzelne Landuntereignisse im Juni statistisch deutlich zunehmen, die durch Extremwetterereignissen ausgelöst werden. Fällt eine Springtide mit lang anhaltendem Starkwind oder Sturm aus westlicher Richtung zusammen, droht ein Landunter. Die festlandnahen Halligen wie Südfall oder Nordstrandischmoor sind stärker betroffen als die westlichen Halligen. 120cm über dem Mittleren Hochwasser sind für Menschen nur ein aufregendes Ereignis, für die Brutvögel aber der vollständige Verlust ihrer Brut. 2020 hatte Hallig Südfall zwei starke und drei kleinere Landunter, der Bruterfolg in diesem Jahr war komplett verloren, nicht nur auf Hallig Südfall.
Seit 2019 misst ein Projekt von der Uni Hamburg mit dem Verein Jordsand auf den Halligen Norderoog und Südfall mit automatisierten Loggern alle 10 Minuten rund ums Jahr Wasserstand und die Temperatur auf der Hallig. Zusammen mit einem digitalen Höhenmodell kann genau gesagt werden, welche Bereiche der Hallig wie oft und wie lange überflutet waren. Am 19. Februar 2022 war beispielsweise der maximale Wasserstand 295cm über der Hallig Norderoog, auf fast einem Drittel der Hallig wurde die Strandmelde von den Wellen weggefegt, die Bereiche sind bis heute noch fast ohne Vegetation. Mit genauen Vermessungen und Analysen in Kombination mit systematischen Dauerbeobachtungen des/der Vogelwarts/in können Änderungen durch den Klimawandel früh erkannt werden – an anderer Stelle heißt so etwas „Climate Observatory“. Auf Norderoog hat sich die Idee der „Klimahallig“ entwickelt, ein Observatory für biologische Änderungen durch den Klimawandel. In einer Machbarkeitsstudie, von der Bingo-Lotterie finanziert, sollen die bestehenden Ideen mit dem Verein Jordsand, dem Nationalpark und der Uni Hamburg zu einem Projekt entwickelt werden, einer Dauerbeobachtung und einem Frühwarnsystem für gravierende Ereignisse im Wattenmeer durch den Klimawandel.
Es sind nicht nur die Vögel, die durch den Klimawandel betroffen sind. Ausdauernde stationäre Hochdruckgebiete im Frühjahr und Sommer sind ein zunehmendes Phänomen der letzten Jahre (so beispielsweise 2018 und 2020). Wochenlanger Ostwind und hohe Temperaturen lassen das Watt extrem trocken fallen, bei Niedrigwasser über die Mittagszeit erreicht die Wattoberfläche sehr hohe Temperaturen. Herzmuschelsterben waren die Folge, große Mengen der Muschelschalen konnten gefunden werden. Die Wattwürmer und kleinen Krebse ohne harte Schale wurden einfach „verkocht“ und konnten nicht gefunden werden. Die Folgen bleiben nur zu ahnen…
Im Dithmarscher Wattenmeer starben 2019 ca. 1400 zum Teil fast flügge Flussseeschwalben an den Infektionen von Vibrio cholerae., einem Bakterium, besser bekannt als „Vibrionen“. Ihre Massenentwicklung kam in heißen Sommerphasen an der Ostsee vor, wo dann ein Badeverbot ausgesprochen wurde. Im Wattenmeer war dieses Phänomen neu, 2020 waren in der gleichen Kolonie Neufeld eine Woche später Lachmöwen davon betroffen.
Jungfische meiden das aufgeheizte Wattenmeer, der Sauerstoffgehalt sinkt und es gibt natürlich auch nicht genügend Nahrungsorganismen für sie. 2018 kehrte sich sogar durch das stationäre Hochdruckgebiet mit den Ostwinden im Frühjahr sogar die typische Nordseeströmung gegen den Uhrzeigersinn um, die jungen Heringe aus der Nordsee konnten das Wattenmeer gar nicht erreichen.
Das sind alles bisher relativ oberflächliche Beobachtungen, sie sollten jedoch intensiviert werden, damit wir neue und unbekannte Entwicklungen im Wattenmeer schneller verstehen können. Die Diskussionen kommen meist dann auf, wenn das Phänomen vorbei ist, wie kontroverse Überlegungen beispielsweise zu „Heringssterben“ in den Jahren 2020 und 2021.
Hallig Norderoog ist aber auch für sich selbst ein sehr spannendes Objekt von großer dynamischer Veränderung. Die Hallig war um 1800 noch über 45ha groß, es sind nach vielen Abbrüchen bis heute 8-9 ha verblieben. Uferschutzarbeiten im Sommer von freiwilligen Helfern waren wichtig, die Halligkanten mit Lahnungen zu schützen. Doch seit ein paar Jahren hat sich das Bild deutlich verändert. Der Sand, der vom Norderoogsand von Westen seit Jahren immer schneller nach Osten getragen wird, hat allein in den Stürmen des Februar 2020 den tiefen Priel westlich der Hallig vollständig in nur einer Woche aufgefüllt. Man kann nun fast ein Lineal vom Norderoogsand zur Halligkante legen. Die westlichen Lahnungsfelder sind inzwischen sandbedeckt und man hätte dort große Schwierigkeiten, noch Lahnungen in den Boden zu bekommen. Das einmalige neue Phänomen, der Wandel einer Hallig zu einer „Dünen-Hallig“, steht bevor. Der Sturm am 19. Februar 2022 hat die ersten flächigen Sand Rippeln auf der Hallig erzeugt. Man muss davon ausgehen, dass diese Entwicklung nun immer schneller voranschreitet.
Gleichzeitig ändert und entwickelt sich der Norderoogsand kontinuierlich. Er wurde in den letzten 20 Jahren zur Düneninsel und dem Brutgebiet für die Großmöwen, die nach und nach von Norderoog auf die Düne umziehen. Nationalparkverwaltung und das Alfred-Wegener-Institut vermessen seit Jahren die Entwicklungen von Primärdünen hin zu einer Weißdüne. Das LKN Husum hat neue „Klima-Messstrecken“ eingerichtet, um die Veränderungen des Sandes zu dokumentieren. Im August 2022, nach der Brutzeit, ist eine koordinierte Erfassung durch alle Beteiligten geplant. Der Status Quo wird zusätzlich mit einer photogrammetrischen 3D-Drohnen Erfassung unterstützt, wo durch die Uni Hamburg ein flächiges digitales Höhenmodell errechnet wird. Der Norderoogsand hat das große Glück, dass er, im Gegensatz zu Japsand und Süderoogsand, eine ausgeprägte Flachwasserzone im Westen vorgelagert hat, was durch die regelmäßig vermessene 5 Meter Tiefenwasserlinie gut zu erkennen ist. Die Wellen von Westen brechen sich vor der eigentlichen Düne und verlieren dort ihre Kraft. Der Februarsturm Zeynap hat daher nur erstaunlich wenig an den Dünen des Norderoogsands genagt und nur kleine Abbruchkanten erzeugt.
Der Wandel im Wattenmeer durch Klimaveränderungen und Meeresspiegelanstieg hält viele Überraschungen bereit, es wäre wichtig, diese aufmerksam zu verfolgen. Sei es zum Schutz der Menschen mit dem Küstenschutz oder zum Verständnis und dem Schutz des Weltnaturerbes Wattenmeer. Auf der kleinen Hallig Norderoog wird zumindest jetzt schon alles aufmerksam verfolgt und dokumentiert.
Veit Hennig