Neulich sprach mich Uwe Kurzke an, unser ehemaliger langjähriger Inselarzt und Redaktionsmitglied unserer Inselzeitung „De Pellwormer“, ob ich nicht mal einen Beitrag schreiben könnte als „Butenpellwormer“. Fällt Ihnen etwas auf? Obwohl ich nun schon seit mehreren Jahren Hamburger Neubürger bin (hier in Hamburg heißt das „Quiddje“, wie ich von meiner Frau gelernt habe), spreche ich noch immer von „unserem Doktor“ und „unserer Inselzeitung“. Und so fühle ich auch – als gebürtiger Pellwormer, der über 70 Jahre seines Lebens auf dieser schönen Insel verbracht hat, kann das wohl gar nicht anders sein, auch wenn ich den Schritt nach Hamburg sehr bewusst getan habe, um hier, in der Heimat meiner Frau (meiner „Hamburger Deern“), meinen Lebensabend abseits der eingefahrenen Gepflogenheiten zu genießen. So wie anders herum viele Menschen vom Festland – von jungen Familien bis zu „großstadtmüden Altenteilern“ – heute Pellworm zu ihrem neuen Wohnsitz erkoren haben und nun das Gesicht der Insel mitgestalten und prägen. Wandel in beide Richtungen.
Für diejenigen, die mit dem Namen Willi Petersen nichts anfangen können, ein kurzer Abriss: Ich bin 1948 auf dem „Ostersielshof“ an der heutigen Liebesallee als Wilhelm Johannes Petersen auf die Welt gekommen, wuchs in die landwirtschaftlichen Aufgaben hinein und bewirtschaftete dann nach Lehrzeit, Bundeswehrdienst und Meisterschule den elterlichen Hof, der in den 60er Jahren noch unter Regie meiner Eltern an den Stürenburger Weg ausgesiedelt war, bis zur Betriebsaufgabe im Jahr 2004. Es blieb nicht viel Zeit, um sich von diesem herben Einschnitt nach 175jährigem Bestehen des „Ostersielshofes“ zu erholen und wieder auf die Beine zu kommen. Das tägliche Brot wollte verdient sein. Es folgte die Umschulung zum Bus- und Taxifahrer und die Anstellung bei der NPDG für 10 Jahre bis zur Rente. Begleitet wurde mein Alltag auf Pellworm von diversen Mitgliedschaften bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Freiwilligen Feuerwehr, dem Hegering und Jagdverein, dem Shantychor, dem Freesenvereen, in der Archivgruppe und als Vorstandsmitglied in der NPDG. Ein dichtes Netzwerk verband uns „Altpellwormer“ und formte das nachbarschaftliche Miteinander (und manchmal auch das Gegeneinander).
Und nun Hamburg?! In dem Alter?! Ich hatte Hamburg bereits als junger Wehrdienstler während meiner Sanitätsausbildung im Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek kennengelernt; diese schöne Stadt hatte mich beeindruckt: die Landungsbrücken und der Hafen mit dem sprichwörtlichen Duft der großen weiten Welt, die Elbe und die „großen Pötte“, die Alster mit ihren Parks und hochherrschaftlichen Villen, und als Kontrast zum Häusermeer mit Großstadtgetriebe die waldreichen, ruhigen Randgebiete. Und als ich im vorgerückten Alter von knapp 60 Jahren meine „Hamburger Deern“ kennenlernte, stand bald fest, dass sie zu mir nach Pellworm zieht, solange ich noch bei der NPDG im Dienst bin, und dass wir dann als Rentner gemeinsam nach Hamburg überwechseln. 2018 war es dann soweit – wir hatten im Alstertal kurz vor der Stadtgrenze nach Schleswig-Holstein ein hübsches Häuschen mit Garten im Grünen gefunden, in das wir Ende Mai bei schweißtreibenden hochsommerlichen Temperaturen mit Sack und Pack einzogen. Wir wurden von einer freundlichen, angenehm distanzierten Nachbarschaft, guten Freunden und fröhlicher Großfamilie herzlich empfangen. Soweit, so gut. In dem ruhigen, grünen Stadtteil Bergstedt – mit uralter bäuerlicher Vorgeschichte und einer Kirche, die fast ebenso alt ist wie „unsere“ Alte Kirche auf Pellworm, – umgeben von Naturschutzgebieten, aus denen die Rehe nachts gern mal in die Gärten hinüberwandern, um in aller Ruhe die Rosenknospen und den Mangold abzufressen, kann man es auch als „Landei“ gut aushalten. Nur – ein eigenes Netzwerk wäre schön, ergänzend zu Familie und Freunden meiner Frau, die auch die meinen wurden.
So kam das Volksdorfer Museumsdorf in mein Leben, in dem meine Frau schon als Grundschülerin im Heimatkundeunterricht ihrem hochbetagten Lehrer gelauscht hatte, als er im Harderschen Hof die Volksdorfer Geschichte erklärt hatte.
Und nun wurden wir aufmerksam auf einen Vortrag im Museumsdorf über einen Planwagentreck mit Kaltblutpferden, der eine Friedensglocke bis nach Weliki Nowgorod bringen sollte, und an dem ein Wagen des Museumsdorfs teilgenommen hatte. Ein toller Abend im „Wagnerhof“ mit anschließender Besichtigung der Stallungen, in denen die Schleswiger Kaltblutpferde und Rinder untergebracht waren. Das war die Gelegenheit: Ich sprach die Verantwortlichen an, den Museumsleiter Egbert Läufer und den angestellten Landwirt und Referenten des Abends Mirko Zimmermann, und stellte mich vor. Volltreffer! Das Museumsdorf wird am Leben gehalten von einer großen Schar Ehrenamtlicher, die sich um die Instandhaltung der Gebäude, des Geländes und der historischen Gerätschaften, um den Bauerngarten, den Krämerladen mit Café, um die Vierbeiner und das Geflügel kümmern, um die Bewirtschaftung der gepachteten Flächen nach alter Väter Sitte, um fachkundige Führungen und Veranstaltungen. Seit diesem Abend bin ich mit im Team und beteilige mich, nachdem ich mich in verschiedenen Bereichen wie landwirtschaftliche Planung und Beratung des Vereinsvorstands, Kutschergruppe, historische Feldarbeit usw. ausprobiert habe, in der sogenannten „Futtergruppe“ zweimal wöchentlich an der Versorgung der Pferde und Rinder.
Es schließt sich ein Kreis in meinem Leben: hier bin ich der Landwirtschaft meiner Jugend wieder begegnet: Feldarbeit mit Pferden, Umgang mit historischen Geräten wie z.B. die alte Dreschmaschine, Windfege, Häckselmaschine, jedoch mit dem Unterschied, dass ich es hier nur aus Spaß an der Freude tue, und nicht mit wundgelaufenen Beinen und Sonnenbrand im Genick unter dem Druck, dem Land den Lebensunterhalt abringen zu müssen. Da konnte einem halbwüchsigen Jungen, auch wenn er alle Kraft einsetzte, um sich an der Seite der Eltern der Vorfahren würdig zu erweisen, schon mal die Freude vergehen. Das ist lange her. Hier im Volksdorfer Museumsdorf habe ich neue Freundschaften geschlossen und kann manche Gelegenheit nutzen, mein Wissen und meine Fertigkeiten zu erweitern. So habe ich, der ich schon als Junge wie selbstverständlich mit unseren Schleswiger Scheckstuten „Liese“ und „Lotte“ vor dem Jagdwagen über Pellworm kutschiert bin, hier noch den Kutschenführerschein erworben und bin nun mit den Feinheiten wie Leinenführung nach Achenbach usw. vertraut. Außerdem mache ich Führungen für Schulklassen und andere Interessierte durch die Göpelmühle mit dem Titel „Vom Korn zum Mehl“ – auf Hochdeutsch natürlich. Plattdeutsch verstehen die Kinder hier ja nicht. Aber wer nun denkt, ick kunn mien Moderspraak vergeten … wees man ni bang. Im Plattdütsch Kring, der alle vier Wochen im Museumsdorf stattfindet, vertellen wi op Platt oder diskuteern oder leest vör … dor plegen wi uns leeve Moderspraak und hebbt bannig veel Spaß dorbi.
Bei den Mühlenführungen kommen mir meine Erfahrungen und Kenntnisse aus meiner bäuerlichen Vergangenheit und aus den vielen Inselrundfahrten zugute, die ich als Busfahrer auf Pellworm während der Saison täglich durchgeführt habe. Und mein lebenslanges Interesse an Politik, Soziologie und Geschichte, speziell natürlich an der Pellwormer und der nordfriesischen Geschichte, über die ich mir umfangreiche Kenntnisse – immer ausgehend von meiner eigenen Familienchronik – über die Jahre angeeignet und auch einige Vorträge gehalten habe.
Eine Krönung dieser „völkerverbindenden Aktivitäten“ sind für mich die gegenseitigen Besuche zwischen Hamburg und Pellworm, die auf meine Anregung und z.T. unter meiner Reiseleitung inzwischen stattgefunden haben.
Im Frühjahr 2022 begann mit einer zweitägigen Reise meiner „Futtergruppe“ samt PartnerInnen nach Pellworm das Projekt: „Wir reisen gemeinsam zu den Orten, die uns geprägt haben“. Die Reihe wurde in diesem Sommer fortgesetzt mit einer fünftägigen Reise nach Helsinki … wer weiß, wohin es uns noch führen wird. Auf jeden Fall konnte ich das Interesse an meiner Heimatinsel so weit wecken, dass der Wunsch nach einer weiteren Pellwormfahrt besteht. Kein Problem, ich habe noch viel im Petto, wofür im Frühjahr 22 keine Zeit blieb.
Im Herbst 2022 kam dann der Gegenbesuch: Mein Vorschlag, die alljährliche Ausfahrt der Anteilseigner der NPDG, zu denen auch ich mich zählen kann, in das Volksdorfer Museumsdorf zu unternehmen, wurde gern aufgegriffen, so dass wir uns voller Vorfreude an die Vorbereitungen machten. Der herzliche Empfang im Museumsdorf und die spannenden, detailreichen Führungen über das Gelände mit Tiergehegen, Schauacker, Bauerngarten, Spiekerhuus, Göpelmühle, Schmiede, Wagnerhof, Harderhof, Schulzimmer, Backhaus, Stallungen und Krämerladen durch den Museumsleiter Egbert Läufer und den ehemaligen ersten Vorsitzenden des Fördervereins „De Spieker“ Reimer Lindemann blieben nicht nur mir in allerbester Erinnerung. Das Interesse der TeilnehmerInnen war groß: „Oh, guck mal hier – wie früher bei Oma und Opa – weißt du noch?“ „Ach, nein, das kannte ich noch nicht…“, und nach reichlich frischer Luft, Kopfsteinpflaster und vielen neuen Eindrücken ging der Ausflugstag in Volksdorf mit hausgemachtem Kuchen der engagierten BäckerInnen aus dem Ehrenamtlichenkreis, heißem Kaffee und lebhaftem Klönschnack im Wagnerhof zuende. Der Bus brachte unsere Gäste dann wohlbehalten wieder nach Hause (siehe „De Pellwormer“ Nr. 10/2022).
Doch damit nicht genug. Wie dat op’n Dörpen so iss, dat snackt sick rum. Es wurden aus dem Kreis der Ehrenamtlichen in Volksdorf so viele Bitten an den Vorstand des Fördervereins herangetragen, doch eine Pellwormreise anzubieten, dass ich schließlich beauftragt wurde, die Reiseleitung für den diesjährigen Mitarbeiterausflug zu übernehmen. Es war mir eine Freude! Schlägt mein Herz doch nach wie vor auch
für meine alte Heimat, so gut ich mich hier am Rande von Hamburg eingelebt habe. Termin gefunden, Restaurants angefragt mit (wechselndem Erfolg), Bus für 50 – 60 Leute gebucht, Fähre angemeldet, Programm ausgearbeitet, und am 10. September ging es schon vor 8 Uhr morgens in Volksdorf los. Bus fast ganz voll, Stimmung gut, Wetter bestens, Reiseleiter gut vorbereitet, informativ, launig – ach ja, das war ja ich. Die Inselrundfahrt – für den auswärtigen Busfahrer eine Herausforderung auf den schmalen Straßen mit den engen Kurven, die er aber bestens meisterte – mit den Highlights Alter Hafen, Leuchtturm, Alte und Neue Kirche, Aussichtspunkt bei der Hooger Fähre mit Erklärung der Insel- und Halligwelt, Köge und Deiche … und all den Daten und Geschichten wurde sehr gut angenommen – ich hatte viele interessierte Fragen zu beantworten.
Die Einkehr in das Restaurant „Hooger Fähre“ zur Kaffeezeit mit Kirstens köstlichem hausgebackenen Kuchen (Sie hatte am Vortag, ihrem eigenen Geburtstag, mit einer Mitarbeiterin zusammen – anstatt zu feiern – Kuchen für unsere ganze Mannschaft gebacken und das Restaurant an ihrem Ruhetag nur für uns zusammen mit ihrem Mann Stefan geöffnet. Vielen Dank dafür!) war dann der krönende Abschluss eines ereignisreichen Ausflugstages nach Pellworm.
So verbinden sich für mich meine alte und meine neue Heimat auf’s beste – wie auch schon vor hunderten von Jahren gute Beziehungen zwischen Hamburger Kaufleuten und der „Pellwormharde“ gepflegt wurden, belegt durch mittelalterliche Handelsverträge, oder wie es die Erwähnung von „Rungholt“ in Hamburger Archiven bestätigt. Da stehe ich doch in einer guten Tradition. Einzig der überwältigende Sternenhimmel, der sich bei klarem Wetter heute wie damals über Pellworm ausbreitet, fehlt mir von Zeit zu Zeit. Wie gut, dass das Planetarium im Stadtpark in erreichbarer Nähe ist, das ich oft und gern aufsuche.
Für mich erfüllt sich der Titel des ersten Kinofilms, den ich zusammen mit meiner „Hamburger Deern“ hier im Volksdorfer Koralle-Kino gesehen habe: „Das Beste kommt zum Schluss“. Mit Freude und Dankbarkeit genieße ich meinen (Un-)Ruhestand am Rande der Großstadt mit all ihren kulturellen und infrastrukturellen Annehmlichkeiten, und besuche gern meine alte Heimatinsel Pellworm und diejenigen Menschen dort, mit denen mich eine lange, vertrauensvolle Freundschaft verbindet. Macht’s gut, bleibt gesund, und vielleicht bis bald.
Wilhelm Petersen & Sabine Krause