Von Pellworm bis in die Ukraine nach Lwiw sind es 1512 km. Mindestens 16 Stunden ohne Pausen bräuchte man mit dem Auto, um dort hinzugelangen. Doch die Ukraine und das Schicksal der Ukrainer ist auf Pellworm viel näher. Zwischenzeitlich sind die ersten Flüchtlinge hier auf Pellworm untergekommen, Familien konnten zusammengeführt werden. Sie alle bangen um das Schicksal ihrer Angehörigen, die noch in der Ukraine geblieben sind.
Die Bande zwischen der Ukraine und Pellworm enger als man denken könnte.
Ende 1998 kamen Galina und Walerij Faut mit Ihren Söhnen Viktor und Michael als Spätaussiedler aus der Ukraine nach Pellworm. Ein Teil ihrer weitläufigen Familie war bereits in Schleswig-Holstein ansässig, so dass der Vorschlag, auf die Insel Pellworm als gute Wahl erschien. Der erste Blick von Nordstrand Richtung Pellworm bei Ebbe war eher ernüchternd. Trotz der Horrorgeschichten, die sie vorab über das Inselleben gehört hatten, war der Empfang herzlich. Beide stammen aus Tschop eine Kleinstadt gut 250 km von Lwiw im Westen der Ukraine. Tschop ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt und Grenzbahnhof, dessen Bedeutung gerade heute besonders groß ist. Galina ist studierte Eisenbahningenieurin und war in Tschop für die Sicherstellung des Bahnverkehrs zuständig. Als gelernter Schlosser betrieb Walerij dort eine Autowerkstatt , beide Söhne sind in Tschop geboren. Walerijs Familie gehört zu den sog. Russlanddeutschen, die im 18. Jahrhundert von Katharina der Großen in Deutschland als Siedler in damalige russische Reich angeworben worden waren und im Gebiet der heutigen Ukraine siedelten.
Schwierigkeiten beim Neuanfang in Deutschland gab es reichlich. Galinas Ausbildung als Eisenbahningenieurin wurde nicht anerkannt, auch Walerijs Qualifikationen fanden vor den Augen der bundesdeutschen Bürokratie keine Gnade. So hieß es für Beide, quasi bei Null anzufangen, Galina war sich für keine Arbeit zu schade und, Walerij mit seinen Fertigkeiten und seiner Erfahrung bei Pellwormer Firmen gerne gesehen. Die Söhne fühlten sich in der Schule gut integriert, machten erfolgreich ihren Schulabschluss auf Pellworm. Michael ging bei Karl August Geertz in die Lehre zum Elektriker und Viktor ist heute nach Abitur, Bundeswehr und Ausbildung in Bredstedt als Polizeivollzugsbeamter tätig. Michael lebt nach seiner Ausbildung zum Elektriker mit seiner Familie in Hattstedt. Als die Lehrerwohnung an der Schule von der Gemeinde verkauft wurde, griffen Galina und Walerij zu und mit viel Eigenleistung sind zwei moderne und schöne Wohnungen entstanden. Als Heizungs- und Installationsfachmann hat sich Walerij für das kleine Haus an der Schulstraß e eine clevere nachhaltige Lösung ausgedacht und umgesetzt.
Doch sorgt Russlands Überfall auf die Ukraine bei beiden für schlaflose Nächte. Familienangehörige, die noch in der Ukraine leben sind bedroht, alte Freunde aus den Zeiten in Tschop melden sich mit der Bitte um Hilfe. So erhielt Galina den Anruf einer alten Studienfreundin, mit der sie über die ganzen Jahre ohnehin Kontakt gehalten hatte. Die Bitte war, ob Galina und Walerij der Tochter und dem Enkelsohn bei der Flucht helfen könnten. Bis nach Polen hatten sich Nadja, ihr Sohn Max und die Freundin Tatjana schon durchschlagen können, doch nun war die Frage, wie es weiter gehen könnte. Galina betont die große Verbundenheit der Ukrainer untereinander, den Zusammenhalt und so war es für Viktor keine Frage, während einer 30-stündigen Freischicht in seinem Dienst bei der Polizei sich in den Wagen zu setzen, 1000 km Richtung polnisch-ukrainische Grenze zu fahren und nach knapp 6 Stunden Schlaf die 3 in seinen Wagen zu packen und mit nach Bredstedt zu nehmen: Dort sind die 3 nun in einer kirchlichen Einrichtung vorübergehend untergebracht: Beide sprechen kein Deutsch und so ist es von Vorteil, dass in Bredstedt gleich Deutschkurse angeboten wurden. Wie es nun weiter gehen soll, ist beiden jungen Frauen unklar, niemand weiß wie sich der Krieg mit seinen Verwüstungen und Gräueltaten hinziehen wird und wie und ob er enden wird. Am Tag des Besuchs bei Familie Faut schlugen die ersten russischen Raketen in Lwiw ein. Wenn diese Ausgabe des de Pellwormer erscheint, hat Russland seine eine Großinavsion gestartet und auch Dörfer und Städte im Westen und Norden werden bombadiert und Menschen getötet.
In der Ukraine hätten die Frauen mit ihren Familien ein gutes Leben gehabt, erzählt Viktor, noch stehen sie unter Schock, das selbst Erlebte und das, was tagtäglich in der Ukraine geschieht, ist emotional nicht zu verarbeiten. Viktor berichtet, dass die erste Frage, die beide Frauen bei ihrer Ankunft stellen, gewesen sei, wo sie arbeiten könnten. Nadja ist gelernte Bauzeichnerin und Tatjana ausgebildete Einzelhandelskauffrau. Beide hoffen, dass Arbeit zumindest etwas von den Schrecken ablenken kann. Überwältigt war Viktor von der Fülle der Hilfsbereitschaft in seiner Nachbarschaft, als er mit beiden Frauen in Bredstedt ankam. Ukrainer seien, darauf weist er hin, sehr gut erzogen und eher recht zurückhaltend, so dass überschwänglicher Dank nicht immer die erste Reaktion sei. Dass Dankbarkeit aber tief empfunden wird, steht außer Frage.
Aus den Erfahrungen, die Galina und Walerij nach ihrer Ankunft machen mussten und auch was in der Flüchtlingskrise 2015 nicht gut gelaufen war, könne man aber Lehren für heute ziehen, meint Viktor. Auf die Frage, wie und wo nun konkret geholfen werden kann, sind 3 Dinge für ihn entscheidend:
- Die Behörden sollten sich um möglichst rasche Anerkennung der beruflichen Qualifikationen kümmern
- Ein guter Sprachunterricht.
- Wohnungen sollten angeboten werden, dies kann beim Amt Pellworm (Claus Stock) erfolgen.
Sobald die ersten bürokratischen Hürden genommen worden sind, sollte möglichst schnell die Möglichkeit zu einer Arbeit geschaffen werden, auch Aushilfstätigkeiten würden gerne genommen.
Uwe Kurzke
Aktueller Stand Mitte April sind 29 ukrainische Familien, vorwiegend Mütter mit Kindern auf Pellworm untergekommen. Teilweise wohnen sie bei Familienangehörigen, teilweise wurden Ferienwohnungen zur Verfügung gestellt. Amt Pellworm Das Amt Pellworm mit Claus Stock kümmert sich um die bürokratischen Abläufe (Registrierung, Aufenthaltesbescheinigungen, Regelung von finanziellen Angelegenheiten), Privatleute engagieren sich. So muss u.a. auch vorab geklärt werden ob Wohnraumnachfrage und Angebot zusammenpassen und ob ggfs. eine enge spezialärztliche Anbindung erforderlich ist. Seitens des Amts wird der hervorragende Einsatz der Insulaner:innen besonders betont. Hermann-Neuton-Paulsen-Schule In der Schule sind neun Kinder aus der Ukraine im Alter zwischen 8 und 15 Jahren angemeldet. Sie verfügen über wenig deutsche Sprachkenntnisse, einige sprechen ein bisschen englisch. Als Fachkraft für Deutsch als Zweitsprache erteilt Frau Pauline Köhler vier Stunden Deutschunterricht , ansonsten sind die Kinder in den, dem Alter entsprechenden Klassen untergebracht und nehmen am „normalen“ Unterricht teil. Das Ziel iost zunächst Ablenkung vom „ukrainischen Alltag“ hin zum ganz normalen Leben eines Kindes, soweit wie möglich. Die Schule braucht Unterstützung! Die Kinder benötigen alle Turnschuhe, die auf der Flucht nicht mitgenommen werden konnten mitgenommen haben! Dringend benötigt wird ferner finanzielle Unterstützung für die Kinder, wenn sie mit uns ins Zeltlager fahren wollen. Die ganze Schule fährt Ende Mai in ein Zeltlager am Plöner See, Kosten 125 € je Kind. Für die Integration ein wichtiger Schritt, derzeit ist aber noch nicht abzuschätzen, ob (alle) Kinder mit wollen. In der kommenden Ausgabe wird de Pellwormer hierüber ausführlich berichten